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S.E. Grove - Weltenriss (The Mapmakers-Triologie Band 1)


Eigentlich war ich nur im Thalia, um mich zu informieren, was man sich so in Zukunft an Büchern zulegen könnte, da grinste mich das Cover von Weltenriss an. Es wirkte von weiten sehr schlicht – grauer Einband, ein schöner goldener Kompass darauf. Ich musste sofort an Piraten oder Steampunk denken und sah es mir näher an. Was von Weitem wie graue Schattierungen aussah, entpuppte sich als blasse Profile von Personen – allesamt Handlungsträger, wie mir beim Lesen bewusst wurde – ein Dampfzug und ein Segelschiff.

Ja, das Buch musste definitiv mit nach Hau- se (der Klappentext musste mich gar nicht mehr überzeugen, hat er aber trotzdem).


Stellt euch mal eine Welt vor, in der alle Zeitalter, sowohl vergangene, als auch zukünftige, gleichzeitig existieren. Die Große Disruption sorgte viele Jahrzehnte vor Be- ginn der eigentlichen Geschichte dafür, dass unsere Welt, wie wir sie kennen, zerrissen wurde und sich neu formte. In Europa herrschte plötzlich wieder Mittelalter, Kanada wurde von einer prähistorischen Eiswüste bedeckt, in Mexiko trafen die Maya auf eine tausend Jahre moderne Kultur. Die amerikanische Ostküste – nun Neu-Okzident genannt -, aus der Sophia, die Prota- gonistin der Geschichte stammt, befindet sich nun im Jahre 1891 und hat sich mit den Ereignissen der Disruption arrangiert. Sophias Eltern waren Entdecker der neuen Welten, gingen auf einer Expiditon aber verschollen. Mithilfe ihres Onkels Shadrack, dem be- rühmtesten Kartologen seiner Zeit, will sie sich auf die Suche nach ihnen machen, doch als Shadrack von einer unbekannten Organisation entführt wird, begibt sie sich auf eine Reise in die südwestlichen Brachlande und sieht sich bald einer Gefahr gegenüber, deren Ausmaße sie nie erwartet hatte, denn die Entführer ihres Onkels haben viel größeres im Sinn.


Bereits nach wenigen Seiten hatte die Geschichte mich gefangen. Der Prolog mutete noch etwas merkwürdig an, aber spätestens nach dem ersten richtigen Kapitel war ich bereits hellauf begeistert. Der Schreibstil (das heißt zumindest die Übersetzung) liest sich flüssig und simpel, wirkt aber keinesfalls unterfordernd. Die Thematik über Rassismus, die die ersten Kapitel angesprochen wird, ist mehr als aktuell und kann wunderbar auch in unsere heutige Gesellschaft übertragen werden. Ich liebe die zahlreichen satirischen Seitenhiebe, die im ersten Akt des Buches verarbeitet sind. Der zweite Akt treibt die Geschichte dann voran. Wir verlassen gemeinsam mit Sophia und ihrem neuen Verbündeten Theo die gewohnte Umgebung Bostons und Neu-Okzidents und begeben uns mit ihr gemeinsam auf eine Reise in Richtung der Brachlande. Bereits hier merkt man, dass nicht nur die Welt, sondern sogar die Zeit sich verändert. Die Zugreise wirkt wie aus einem Western, dann tauchen Piraten mitsamt eines Segelschiffes aus, die wiederrum an das große Zeitalter von Blackbeard und Konsorten erinnerten. Es ist wirklich wundervoll, wie Autorin Grove mit verschiedenen zeitlichen und kulturellen Einflüssen spielt und so aus einer realen Welt etwas phantastisches schafft. Dies verstärkt sich noch, als Sophia mit ihren neugewonnenen Freunden tiefer in die Brachlande vordringt und näher an die Triple-Ära (auf dem heutigen Gebiet von Mexiko) gelangt. Diese Region ist durch drei verschiedene Zeitalter geprägt und hat sich in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr an unsere normale erinnert, sondern an eine eigene Welt, wie man sie in Fantasyromanen vorfindet. Das beginnt mit den fahrenden Baumschiffen, den sogenannten Arbordevela, bis hin zu den Bewohnern von Nochtland, deren Körper Eigenschaften von Pflanzen aufweisen. Bald schon ist man in eine Welt abgetaucht, die nur noch entfernt an Urban Fantasy erinnert und die man immer weiter erkunden will. Akt 3 lässt die Geschichte ein wenig zur Ruhe kommen. Er verbringt viel Zeit damit, dem Leser die neue Welt näher zu bringen und geht mehr auf die neuen Charaktere ein, vertieft die Leserbeziehung zu den Hauptfiguren Sophia, Shadrack und Theo und geht auch auf die Antagonisten und deren Motive ein, schafft es aber dabei, in einem perfekten Maße Spannung aufzubauen, ohne dabei eventuelle Scheidepunkte vorwegzunehmen. Zwar führt dieser Akt die Geschichte nur minimal weiter, aber dennoch sehe ich in diesem Akt die wohl wichtigste Entwicklung. Außerdem beinhält er einen der besten Wendepunkte, den ich bisher in einem Buch erlebt habe! Der letzte Akt leitet langsam aber beständig das Finale ein. Die Geschichte nimmt wieder Fahrt auf, die Atmosphäre verdichtet sich. Grove gelingt es, beinahe alle offenen Fragen, die sie im Laufe der Geschichte durch mehr oder weniger deutliche Anspielungen eingebracht hat, zu lösen und führt Sophias Reise schließlich zu einem – zumindest meiner Meinung nach – sehr zufriedenstellenden Ende, das Lust auf die nächsten beide Bände macht.


Doof nur, dass diese erst noch übersetzt werden müssen.


Ein weiterer Pluspunkt für Weltenriss sind die Charaktere. Ich habe jeden einzelnen ins Herz geschlossen, selbst jene, die nur geringe Wichtigkeit hatten. Sie wirkten einfach gut platziert und niemals überflüssig. Ich hätte mir ein wenig mehr Fokus auf die Piratengeschwister Calixta und Burton gewünscht, die ab Akt 3 leider ein wenig kurz gekommen sind, aber ich vermute stark, dass sie in den Folgebänden wieder einen Auftritt bekommen werden und dort hoffentlich mehr Hintergrund kriegen. Besonders toll fand ich die Charakterisierung der Antagonistin Blanca. Selten habe ich so sehr mit dem Bösewicht einer Geschichte gefiebert und gelitten. Ein intensiveres Erlebnis hatte ich bislang nur mit Serverus Snape aus der Harry-Potter-Reihe und der hatte immerhin sieben Bände Zeit, sich zu entwickeln.


Mit Weltenriss habe ich definitiv ein Buch gefunden, welches dieses Jahr ein heißer Kandidat auf mein Buch des Jahres ist. Die Geschichte, die Welt, die Charaktere – ich liebe alles an diesem Buch. Die knapp 600 Seiten lasen sich in Nullkommanichts weg und wenn ich nicht durch meine Nachtschichten einen so zerstörten Biorhytmhs gehabt hätte, hätte ich das Buch vermutlich in drei oder vier Zügen durchlesen können.

Ich lege das Buch jedem ans Herz, der es liebt, in fremde Welten abzutauchen, ohne dabei stundenlang über die politischen Intrigen und die Entstehungsgeschichte der Landschaft lesen zu müssen, jedem, der in unserer bekannten Welt nach phantastischen Einflüssen sucht, jedem, der es liebt zu forschen und zu entdecken und jedem, der Zeitreisen einmal anders erleben will. Ein absolut fantastisches Debüt für einen Autor!

Ohne groß darüber nachdenken zu müssen, bekommt dieses Buch von mir kompromisslose 5 von 5 Sternen!


P.S.: Weiß irgendjemand, wie Frau Grove heißt? Ich habe keinen Hinweis finden können, für was das S.E. steht.

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